OLG Hamm: Folgen eines Kettenunfalls bei dem der Ablauf nicht geklärt werden kann

Pressemitteilung

ungeklärter Ablauf eines Kettenauffahrunfalls – Oberlandesge-richt Hamm klärt, wer zahlen muss

Der durch das Auffahren des hinteren Fahrzeugs beim Vordermann verursachte Schaden kann bei einem Kettenauffahrunfall hälftig zu teilen sein, wenn der Ablauf der Zusammenstöße der beteiligten Fahrzeuge nicht mehr aufzu-klären ist. Das hat der 6. Zivilsenat des Ober-landesgerichts Hamm am 06.02.2014 unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Münster entschieden.

An einem Kettenauffahrunfall im Mai 2011 auf der Gildehauser Straße in Gronau waren die aus Gronau stammenden Parteien beteiligt, der Kläger mit seinem von seiner Frau gefahrenen Pkw Renault Grand Scénic und die Beklagte mit ihrem Pkw Renault Clio. Dabei prallte dieBeklagte mit ihrem Fahrzeug als letzte der an dem Unfall insgesamt beteiligten vier Fahrzeuge auf das vor ihr fahrende Fahrzeug des Klä-gers. Das Fahrzeug des Klägers erlitt neben dem durch das Auffahren der Beklagten verursachten Heckschaden durch eine Kollision mit dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug auch einen Frontschaden. Im Prozess konnte nicht aufgeklärt werden, ob die Ehefrau des Klägers unter Ver-kürzung des Bremsweges für die ihr folgende Beklagte zuerst auf das ihr vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren war oder ob die Beklagte das klägerische Fahrzeug erst durch ihr Auffahren auf das vor dem klägerischen Pkw befindliche Fahrzeug aufgeschoben hatte. Mit der Begründung, ein Beweis des ersten Anscheins spreche für die Unauf-merksamkeit der auffahrenden Beklagten hat der Kläger von ihr 100%igen Ersatz des an seinen Wagen entstandenen Heckschadens von ca. 5.300 Euro verlangt.

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat dem Kläger 50%igen Schadensersatz zugesprochen. Im vorliegenden Fall könne sich der Kläger, so der Senat, nicht auf einen Beweis des ersten An-scheins für ein Verschulden der auffahrenden Beklagten berufen.

Dass ein Verschulden der Beklagten die Betriebsgefahr ihres Fahrzeu-ges erhöht habe, stehe nicht fest. Er sei nicht bewiesen und ergebe sich nicht aus einem Beweis des ersten Anscheins. Zwar spreche bei gewöhnlichen Auffahrunfällen regelmäßig der Beweis des ersten An-scheins dafür, dass der Auffahrende mit einem zu geringen Siche-heitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug gefahren sei oder zu spät reagiert habe. Dieser Beweis des ersten Anscheins sei bei Kettenauffahrunfällen wie dem vorliegenden aber nicht anzuwenden. Der von dem Beweis des ersten Anscheins vorausgesetzte typische Ge-schehensablauf liege nicht vor, wenn nicht feststehe, ob das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen sei. In diesem Fall bestehe die Möglichkeit, dass der Vo-rausfahrende für den auffahrenden Verkehrsteilnehmer unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhalteweges „ruckartig“ zum Stehen gekommen sei, in dem er seinerseits auf seinen Vordermann aufgefahren sei.

Da auch ein Verschulden der Ehefrau des Klägers nicht feststehe, sei es gerechtfertigt, die Betriebsgefahr der Fahrzeuge der beiden Partei-en gleich hoch zu bewerten und eine Haftungsteilung zu gleichen Teilen vorzunehmen.

 

Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 06.02.2014 (6 U 101/13)

 

Christian Nubbemeyer, Pressedezernent