OLG Hamm: € 20.000,00 für unnötige BandscheibenOP

Oberlandesgericht Hamm, 3 U 54/14

Datum:

29.09.2014

Gericht:

Oberlandesgericht Hamm

Spruchkörper:

3. Zivilsenat

Entscheidungsart:

Urteil

Aktenzeichen:

3 U 54/14

Vorinstanz:

Landgericht Dortmund, 4 O 277/10

Schlagworte:

Bandscheibe, Bandscheibenvorfall, konservative Behandlung, Bandscheibenoperation, Bandscheibenimplantat, Fusion (Versteifung), Aufklärung, fehlende Indikation

Normen:

  • § 253, 278, 280, 611, 823, 831 BGB

 

Leitsätze:

Ein Patient kann von einem Krankenhaus 20.000 Euro Schmerzensgeld verlangen, nachdem er im Krankenhaus ohne ausreichende Aufklärung und ohne ausreichende Indikation nach der neueren Methode des Bandscheibenersatzes operiert wurde.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – das am 26.02.2014 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert und wie folgt neu gefasst.

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,-€ nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 25.11.2010 zu zahlen.

2.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle gegenwärtigen und zukünftigen materiellen Schäden sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Operation vom 05.01.2007 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind.

3.

Ferner wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.656,48 Euro außergerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 21.01.2011 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

1   Gründe:

2   A.

3   Der Kläger macht gegen die Beklagte, die Trägerin des Evangelischen Krankenhauses D in E ist, Haftungsansprüche im Zusammenhang mit einer dort am 05.01.2007 durchgeführten Bandscheibenoperation geltend.

4   Der 1965 geborene Kläger ließ 1989 im Segment LW5/S1 und 2002 im Segment LW 4/5 jeweils linksseitig Eingriffe wegen Bandscheibenvorfällen durchführen. Nach den Operationen zeigte sich eine zügige Verbesserung der Rücken- und Beinschmerzen.

5   Nachdem es in den Folgejahren erneut zu einer stetigen Beschwerdezunahme in Bezug auf Rücken- und Beinschmerzen kam, stellte sich der Kläger im Laufe des Jahres 2006 bei verschiedenen Behandlern vor. Diese gelangten jeweils zu dem Ergebnis, dass kein Anlass für eine operative Intervention bestehe, sondern es empfehlenswert sei, die konservative Therapie fortzusetzen. Wegen der Einzelheiten wird auf die in den Krankenunterlagen befindlichen Berichte des Universitätsklinikums L vom 23.10.2006, des Katholischen Krankenhauses K vom 09.02.2006 und 02.01.2007 sowie der Praxisklinik für Neurochirurgie (Dr. N) vom 27.11.2006 Bezug genommen. Nachdem der Kläger am 16.12.2006 den stationären Aufenthalt im Katholischen Krankenhaus K, in dem er konservativ behandelt worden war, gegen ärztlichen Rat abgebrochen hatte, trat er  noch am selben Tag einen ersten stationären Aufenthalt im Haus der Beklagten an. Auf der Grundlage der im Zuge dieses Aufenthalts erhobenen Befunde  und durchgeführten Therapien (analgetisch-antiphlogistische Medikation sowie Reischauer-Blockade links) wurde mit dem Kläger für den 05.01.2007 die Wiedervorstellung zur Implantation einer Bandscheibenersatzprothese vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den in den Krankenunterlagen der Beklagten befindlichen (undatierten) Entlassungsbericht Bezug genommen.

6   Absprachegemäß erfolgte im Zuge eines weiteren stationären Aufenthaltes im Haus der Beklagten am 05.01.2007 die Implantation einer Bandscheibenersatzprothese LW 4/5 links. Am Tag zuvor hatte der Kläger eine entsprechende Einverständniserklärung unterzeichnet. Wegen der Einzelheiten wird auf die in den Krankenunterlagen der Beklagten befindliche Einverständniserklärung Bezug genommen.

7   In der Folgezeit kam es zu 4 weiteren stationären Aufenthalten im Haus der Beklagten, in deren Zuge die konservative Therapie fortgeführt wurde und am 17.04.2007 die Dekompression  LW5/S1 links erfolgte.

8   Mit Schreiben vom  03.11.2010 hat der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 24.11.2010 unter anderem zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 20.000,00 € aufgefordert.

9   Der Kläger hat mit der am 20.01.2011 zugestellten Klage geltend gemacht, die Operation vom 05.01.2007 sei in mehrfacher Hinsicht kontraindiziert gewesen. Zudem seien die diagnostischen Möglichkeiten vor dem Eingriff keineswegs ausgeschöpft gewesen. Ferner habe es einer vorherigen Allergietestung im Hinblick auf etwaig allergieauslösende Bestandteile der Bandscheibenersatzprothese bedurft. Darüber hinaus hat er geltend gemacht, das es keinerlei Aufklärung über die Risiken und die Indikationsstellung gegeben habe. Der Kläger hat behauptet, dass er seit dem Eingriff vom 05.01.2007 unter schwersten Beschwerden im Nackenbereich sowie allergischen Reaktionen leide, ständig Medikamente nehme, seine Alltagstätigkeiten kaum erledigen und nicht lange gehen, stehen oder sitzen könne. Zudem leide er unter ziehenden Schmerzen im rechten Arm mit Stromstößen und Kribbeln in der rechten Hand.

 

10 Der Kläger hat beantragt,

11

12 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2010 zu zahlen,

13

14 2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 04.01.2007 bis 15.01.2007 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,

15

16 3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.656,48 € an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

17

18 4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 546,69 € für die Einholung der Deckungszusage nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

19 Die Beklagte hat beantragt,

 

20 die Klage abzuweisen.

 

21 Sie hat behauptet, der Kläger sei umfassend über das Risikospektrum aufgeklärt worden. Selbst wenn man die vom Kläger behauptete unzureichende Aufklärung unterstelle, sei nicht ersichtlich, warum sich der Kläger gegen den Eingriff entschieden haben sollte. Er habe seit geraumer Zeit unter erheblichem Leidensdruck gestanden und in der Vergangenheit bereits eine  Fusion abgelehnt, so dass nicht ersichtlich sei, warum er nun einen solchen Eingriff  gewählt haben sollte. Einen Entscheidungskonflikt habe der Kläger nicht plausibel gemacht.  Die Beklagte hat zudem mit Nichtwissen bestritten, dass es zu den vom Kläger als Folge der Operation behaupteten Beschwerden gekommen sei.

22 Wegen des weitergehenden erstinstanzlichen Sachvortrags wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

23 Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst mündlicher Erläuterung abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der  Eingriff vom 05.01.2007 noch indiziert gewesen sei. Ebensowenig habe es eine Kontraindikation oder eine Veranlassung für die Ärzte der Beklagten gegeben, von sich aus einen Allergietest durchzuführen. Zudem sei der Eingriff vom 05.01.2007 fachgerecht durchgeführt worden. Auch die Aufklärungsrüge greife nicht durch. Insbesondere vor dem Hintergrund der vom Kläger in der Vergangenheit abgelehnten Fusion stehe fest, dass der Kläger über die in Betracht kommenden Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet habe, bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er von dem Eingriff Abstand genommen, sei dies nicht glaubhaft. Der Beweis einer fehlerhaften oder unzureichenden Aufklärung sei dem Kläger nicht gelungen.

24  Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, mit der er die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter verfolgt. Er macht geltend, es liege eine unzulässige Entscheidung durch den Einzelrichter vor. Ferner habe dieser verfahrensfehlerhaft den  beauftragten Sachverständigen Prof.  Dr. H durch den Oberarzt Dr. C ausgetauscht. Zudem sei der  Eingriff vom 05.01.2007 behandlungsfehlerhaft erfolgt.  So habe  eine Kontraindikation für die Einbringung der Bandscheibenersatzprothese wegen einer massiven Vorschädigung der Facettengelenke beim Kläger bestanden. Jedenfalls liege insofern eine unzureichende Befunderhebung vor. Gerade aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem Bandscheibenimplantat laut Sachverständigen seinerzeit nicht um ein gängiges Verfahren  gehandelt habe, habe die Notwendigkeit einer Testinfiltration bestanden. Angesichts dessen, dass das eingebrachte Implantat nicht mehr entfernt werden könne, habe es zwingend eines Allergietests bedurft, der die allergische Reaktion des Klägers auf das eingebrachte Material gezeigt hätte. Ferner rügt der Kläger nach wie   vor Aufklärungsdefizite. Die Beklagte habe den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung über Operationsalternativen nicht geführt. Schließlich führt  die Berufung (S. 10 der Berufungsbegründung) aus, das Landgericht nehme zu Unrecht an, dass der Kläger   „ein rechtmäßiges Alternativverhalten für den Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht glaubhaft gemacht habe“. Das sei  angesichts dessen, dass es  sich bei der Versteifung um den Goldstandard gehandelt habe, das Bandscheibenimplantat hingegen noch im Teststadium gewesen sei, gänzlich unverständlich. Die in I. Instanz erhobene Rüge der unzureichenden Risikoaufklärung verfolgt der Kläger hingegen mit der Berufung nicht mehr weiter. Gleiches gilt für den erstinstanzlichen Vorwurf, dass der Eingriff vom  05.01.2007 behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden sei.

 

25 Der Kläger beantragt,

26unter Abänderung des angefochtenen Urteils

27

28 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, jedoch nicht unter 20.000,00 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2010 zu zahlen,

29

30 2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 04.01.2007 bis 15.01.2007 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,

31

32 3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.656,48 € an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

33

34 4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 546,69 € für die Einholung der Deckungszusage nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

35 Die Beklagte beantragt,

36 die Berufung zurückzuweisen.

37 Sie macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags geltend, dass sehr wohl eine Indikation für den Eingriff vom 05.01.2007 bestanden habe und der Kläger ausreichend über die Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei. Zudem sei sicher davon auszugehen, dass der Kläger für den Fall einer unterstellten Aufklärungspflichtverletzung in jedem Fall der Implantation der Bandscheibenersatzprothese zugestimmt hätte.

38 Wegen des weitergehenden Sachvortrags der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

39 Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dr. C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin am 29.09.2014 Bezug genommen.

40 B.

41 Die zulässige Berufung  hat im tenorierten Umfang Erfolg.

42

43 Dabei bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu den in der Berufungsbegründung erhobenen Verfahrensrügen.

44 Der Kläger selbst hat bereits darauf verwiesen, dass allein der Umstand, dass der Rechtsstreit  entgegen § 348 Abs. 1 Nr. 2 e) ZPO auf den Einzelrichter übertragen worden ist, nach der  Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 325/11) nicht die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG begründet.

45 Die hinsichtlich des vermeintlichen „Sachverständigenaustauschs“ erstmals mit der Berufung erhobene Rüge verfolgt der Kläger, der weder erstinstanzlich der von Prof. Dr. H mitgeteilten Terminswahrnehmung durch Dr. C noch  der vom Senat vorgeschlagenen Vorgehensweise, den Sachverständigen Dr. C zum Senatstermin zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens zu laden, entgegen getreten ist, offenkundig ebenfalls nicht mehr weiter.

46 II.

47 Dem Kläger stehen gegen die Beklagte sowohl vertragliche Haftungsansprüche aus dem Behandlungsvertrag gemäß §§ 611  i.V.m. 280, 278, 253 Abs. 2 BGB als auch deliktische Haftungsansprüche gem. §§ 823, 831 BGB zu.

48 1.

49 Der Eingriff vom 05.01.2007 war rechtswidrig, weil er nicht von einer wirksamen Einwilligungserklärung des Klägers gedeckt war.

50 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Beklagte den ihr obliegenden Beweis, dass der Kläger vor dem streitgegenständlichen Eingriff   in ausreichender Weise über die unterschiedlichen Chancen und Risiken  der in Betracht kommenden Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist, nicht geführt. Der Sachverständige Dr. C  hat bereits vor dem Landgericht eingehend erläutert, dass zum damaligen Zeitpunkt neben der relativ neuen Methode des Bandscheibenersatzes  die von ihm als seinerzeitiger Goldstandard bewertete Fusion (Versteifung), die konkrete Behandlung des Bandscheibenvorfalls sowie die Fortsetzung der konservativen Therapie, zu der der Sachverständige auch die Implantation einer Morphinpumpe zählt, als Behandlungsmethoden existierten.  Ob es sich dabei tatsächlich  um gleichermaßen indizierte Behandlungsmethoden  mit  wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen, wie sie der Sachverständige Dr. C in seinen mündlichen Erläuterungen des Sachverständigengutachtens vor dem Landgericht umfänglich dargestellt hat, handelte, ist angesichts dessen, dass – wie nachstehend unter  2. ausgeführt –  die durchgeführte Bandscheibenersatzoperation im Fall des Klägers allenfalls unter Bedenken indiziert war  und an sich einer Testinfiltration zur Abklärung der Erfolgschancen geboten gewesen wäre, bereits zweifelhaft, kann jedoch letztlich dahinstehen.  Jedenfalls hätte der Kläger mit aller Deutlichkeit darüber aufgeklärt werden müssen, dass in seinem Fall die Versteifungsoperation die erfolgversprechendste und sicherste Methode war.

51 a)

52 Zwar steht nicht bereits der Umstand, dass die Aufklärung im Hinblick auf die Behandlungsalternative der Fortführung der  konservativen Behandlung defizitär war, der Wirksamkeit der Einwilligung in einen operativen Eingriff entgegen.

53 Dass der Kläger im Haus der Beklagten nochmals über die von den Vorbehandlern  noch Ende des Jahres 2006 als keineswegs ausgeschöpft, sondern vielmehr als empfehlenswert eingestufte Fortführung der konservativen Therapie aufgeklärt worden ist, behauptet die Beklagte zwar selbst nicht. Vielmehr hat sie ausdrücklich vorgetragen, dass der Kläger auch darüber aufgeklärt worden sei, dass eine weitergehende konservative Therapie nicht erfolgreich sein werde. Dementsprechend hat auch der Zeuge Dr. I bekundet, dass er den Kläger ausgehend davon, dass konservativ alles austherapiert sei, aufgeklärt habe. Hinsichtlich der mithin unzureichenden Aufklärung über die Möglichkeit eines weiteren konservativen Vorgehens greift allerdings der von der Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung durch. Bereits der Umstand, dass der Kläger am 16.12.2006 die stationär eingeleitete konservative Behandlung im  Katholischen Krankenhaus K verlassen und noch am selben Tag bei der Beklagten vorstellig geworden ist, belegt, dass er mit den im Katholischen Krankenhaus K vorgeschlagenen Methoden einer weiteren konservativen Behandlung nicht einverstanden war. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht,  dass er bei Kenntnis der vier Behandlungsmöglichkeiten erst einmal hätte überlegen müssen, lässt daher im Hinblick auf die Behandlungsvariante des konservativen Vorgehens einen plausiblen Entscheidungskonflikt im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erkennen. Aus seiner weiteren Erklärung, dass die Wurzelblockade nicht geholfen habe  und er länger Ruhe habe haben wollen sowie insbesondere aus der Tatsache, dass er Ende des Jahres 2006 drei  Behandlern, die die Weiterführung der konservativen Behandlung empfohlen und von einem chirurgischen Eingriff abgeraten hatten, nicht gefolgt ist, wird vielmehr deutlich, dass der Kläger auch bei korrekter Aufklärung die konservative Behandlungsschiene nicht mehr weiter verfolgt hätte.

54 b)

55 Allerdings ist – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Zeugen Dr. I sowie der schriftlichen Dokumentation  – durch die Beklagte nicht bewiesen, dass der Kläger seitens der Beklagten mit hinreichender Deutlichkeit darüber aufgeklärt worden ist, dass  die von ihm gewählte Behandlungsvariante  des Einsatzes einer Bandscheibenprothese ein seinerzeit relativ neues Operationsverfahren  darstellte, das zudem angesichts der bei dem Kläger bestehenden Vorbelastungen gegenüber der vom Sachverständigen Dr. C als Goldstandard bezeichneten Maßnahme der Fusion deutlich geringere Erfolgschancen für eine Beschwerdelinderung oder gar –beseitigung beim Klägers bot. Denn bei diesem lag zum Zeitpunkt der Eingriffsaufklärung Ende des Jahres 2006 bereits ein Zustand nach Voroperation im betroffenen Segment  LW 4/5 mit entsprechender Narbenbildung im Spinalkanal bei einer zumindest geringen Facettengelenksarthrose in demselben Segment sowie einer ausgeprägten Facettengelenksarthrose in dem darunter liegenden Segment LW5/S1 vor, so dass – wie der Sachverständige Prof. Dr. H bereits im schriftlichen Gutachten eingehend erläutert hat – fraglich war, ob der Bandscheibenersatz durch Einsetzen einer Prothese den gewünschten klinischen Erfolg bringen würde.  Nach den auch schon zum Zeitpunkt Ende 2006 gewonnenen Erkenntnissen hatte sich die Implantation einer Bandscheibenprothese allenfalls dann als maßgeblich erfolgsversprechend erwiesen, wenn ein Kreuzschmerz allein durch eine Bandscheibendegeneration verursacht war. Bei dem Kläger lag hingegen in mehreren Segmenten bereits eine Facettengelenksarthrose in unterschiedlicher Ausprägung  vor, die gleichermaßen geeignet war, Kreuzschmerzen zu verursachen. Ein durch die Facettengelenksarthrose  ausgelöster Kreuzschmerz konnte  jedoch auch nach dem damals bereits gegebenen Erkenntnisstand nicht erfolgreich mit der Implantation eines Bandscheibenersatzes behandelt werden. Diese ungewisse Erfolgsprognose sowie die Tatsache, dass die Bandscheibenersatzoperation nicht gleichwertig zur  Fusion war, mussten dem Kläger unmissverständlich deutlich gemacht werden. Das  hat der Sachverständige Dr. C im Senatstermin nochmals hervorgehoben.

56 Dass der Kläger vor dem Eingriff vom 05.01.2007 dergestalt aufgeklärt worden ist,

57 lässt sich der Aussage des Zeugen Dr. I und der Dokumentation nicht ansatzweise entnehmen. Der Zeuge war sich zudem nicht einmal sicher, dass er seinerzeit das Aufklärungsgespräch mit dem Kläger  geführt hat.

58 Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt,  es sei nicht notwendig gewesen,  dem Kläger die unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen der Implantation einer Bandscheibenprothese einerseits  und der Fusion andererseits zu verdeutlichen, weil der Kläger letztere Methode in der Vergangenheit bereits abgelehnt habe, greift dies nicht durch. Es lässt sich mit der Dokumentation bereits nicht ohne weiteres belegen, dass der Kläger nach entsprechender Aufklärung eine Fusion abgelehnt haben soll. Dem Arztbrief des Dr. N (Praxisklinik  für Neurochirurgie in F) vom 27.11.2006 lässt sich insoweit nur entnehmen, dass seinerzeit die Fusion des Segmentes LW 4/5 als etwaige zukünftige Option  für den Fall des Fehlschlagens der konservativen Therapie in Erwägung gezogen worden war. Das lässt aber allenfalls den auch vom Sachverständigen Dr. C in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gezogenen Schluss zu, dass seitens der Ärzte über eine solche Maßnahme nachgedacht und diese dem Kläger mitgeteilt worden ist. Dass dem Kläger seinerzeit schon Vor- und Nachteile dieser lediglich für die Zukunft möglicherweise in Betracht kommenden Maßnahme erläutert worden sind, so dass er bei dem Ende 2006 im Haus der Beklagten geführten Aufklärungsgespräch die erforderliche Vorkenntnis hatte und zwischen den verschiedenen Methoden abwägen konnte, ist nicht ersichtlich. Selbst wenn der Kläger im Übrigen in der Vergangenheit einmal eine Fusion zugunsten der Weiterführung der konservativen Behandlung abgelehnt haben sollte, ist diese Situation nicht mit der im Dezember 2006 bestehenden Sachlage zu vergleichen, bei der die Entscheidung zum operativen Eingriff feststand und es nun um die verschiedenen Operationsvarianten ging.

59 Schließlich kann sich die Beklagte insoweit auch nicht mit Erfolg auf den von ihr er

60 hobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen. Der Kläger hat plausibel dargelegt, dass er  sich im Fall der ordnungsgemäßen Aufklärung über die Operationsmethoden der Implantation eines Bandscheibenersatzes einerseits und einer Fusion andererseits in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. Auch wenn

61 der Kläger im Senatstermin wenig nachvollziehbar, da  widersprüchlich zu seinen Einlassungen vor dem Landgericht und den Angaben in den Behandlungsunterlagen zu dem Aufklärungsgespräch vom 20.12.2006 erklärt hat, er sei über die geplante Operationsmethode der Implantation eines Bandscheibenersatzes überhaupt nicht aufgeklärt worden, hat er ohne weiteres verständlich erklärt, dass ihm an einer dauerhaften Lösung zur Linderung seiner Beschwerden gelegen war. Vor dem Hintergrund ist es ohne weiteres plausibel, dass er  bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die ungewissen Erfolgsaussichten der Implantation eines Bandscheibenersatzes seine Entscheidung zumindest noch einmal überdacht und sich gegebenenfalls auch gegen diese Methode entschieden hätte. Der Vorwurf der Beklagten, der behauptete Entscheidungskonflikt sei allein prozesstaktisch motiviert, greift insoweit nicht durch. Zwar belegt die Vorgehensweise des Klägers, dass er ungeachtet des entgegenstehenden Rates mehrerer Behandler in jedem Fall einen operativen Eingriff wünschte, um den Leidensdruck zu lindern. Dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den noch als relativ neuartig zu bezeichnenden Eingriff  mit den geringeren Erfolgschancen entschieden hätte, folgt daraus jedoch keineswegs.

62 2.

63 Nach ergänzender Anhörung des Sachverständigen Dr. C im Senatstermin steht zur Überzeugung des Senats zudem fest, dass der Eingriff vom 05.01.2007 jedenfalls ohne vorherige Durchführung einer Testinfiltration, die Aufschluss über den ungewissen Erfolg des geplanten Einsatzes des Bandscheibenimplantats hätte bringen können, behandlungsfehlerhaft war.

64 Es erscheint bereits zweifelhaft, ob im Fall des Klägers, bei dem – wie vorerwähnt –   Ende 2006 bereits eine Voroperation im betroffenen Segment  LW 4/5 mit entsprechender Narbenbildung im Spinalkanal erfolgt war  und eine zumindest mäßiggradige Facettengelenksarthrose in demselben Segment sowie eine ausgeprägte Facettengelenksarthrose in dem darunter liegenden Segment LW5/S1 vorlag  und damit Umstände gegeben waren, die der Sachverständige Prof. Dr. H in seinem schriftlichen Gutachten als Kontraindikation bzw. relative Kontraindikation bezeichnet hat,  überhaupt noch eine Indikation für die Einbringung eines Bandscheibenimplantats bestand.  Nach den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. C im Senatstermin steht jedenfalls zur Überzeugung des Senats fest, dass die Indikationsstellung beim Kläger vor diesem Hintergrund nicht – wie geschehen –  ohne die vorherige Durchführung einer Testinfiltration hätte erfolgen dürfen.  Der Sachverständige Prof. Dr. H hat in seinem schriftlichen Gutachten anschaulich erläutert, dass beim Kläger durch eine solche Testinfiltration hätte herausgefunden werden können, inwieweit die Facettengelenksarthrose schmerzursächlich war. Zwar hat der Sachverständige zugleich darauf verwiesen, dass die Durchführung der Testinfiltration zum maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2007 kein allgemeingültiger Standard war. Dies hat auch der Sachverständige Dr. C im Senatstermin bestätigt. Im Zusammenhang mit der von ihm im Fall des Klägers als grenzwertig eingestuften Indikation war die Testinfiltration allerdings gerade nicht entbehrlich. Das wird aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. C im Senatstermin deutlich, in denen er die Sinnhaftigkeit einer solchen Testung betont hat. Angesichts der relativen Neuartigkeit der Operation hätte es den Anforderungen eines vorsichtigen Arztes entsprochen, beim Kläger eine solche Testung vorzunehmen. Da der Eingriff vom 05.01.2007 aufgrund der unzureichenden Aufklärung bereits rechtswidrig ist, entfaltet dieser – einfache – Behandlungsfehler keine zusätzliche haftungsrechtliche Relevanz.

65 3.

66 Nicht behandlungsfehlerhaft war es hingegen, angesichts fehlender Angaben des Klägers zu einer etwaigen Materialunverträglichkeit einen Allergietest vor dem Eingriff vom 05.01.2007 zu unterlassen.  Der Sachverständige Dr. C hat im Senatstermin erneut bekräftigt, dass ein solcher vorsorglicher Allergietest nicht zum Standard gehört.

67 III.

68 Ist nach vorstehenden Ausführungen davon auszugehen, dass der Eingriff vom 05.01.2007 rechtswidrig war,  hält der Senat unter Berücksichtigung aller haftungs-

69 relevanten Umstände ein Schmerzensgeld von 20.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend. Bei der Bemessung ist der  überflüssige Eingriff vom 05.01.2007 selbst nebst anschließenden Beeinträchtigungen während des Heilungsprozesses einzubeziehen.  Zudem hat der Sachverständige klargestellt, dass die tiefen Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlungen in die Beine Folgen des Eingriffs sind. Durch den Eingriff hat sich letztlich das vorbestehende Beschwerdebild manifestiert. Durch konservative Maßnahmen, die bis zu dem Eingriff noch deutliche Chancen der Linderung boten, kann nun allenfalls noch in geringerem Umfang eine Minderung der Beschwerden erzielt werden. Folge des Eingriffs vom 05.01.2007 ist zudem, dass eine etwaige Folgeoperation erschwert worden ist. Der Sachverständige hat dazu erläutert, dass eine etwaig erforderliche Fusion zwar noch möglich, aber durch die erschwerten Zugangsmöglichkeiten von vorne schwieriger und damit zwangsläufig auch risikoreicher ist. Verneint hat der Sachverständige hingegen einen Kausalzusammenhang zwischen dem Eingriff vom 05.01.2007 und den vom Kläger geklagten Schmerzen im Bereich des Armes und der Lenden- und Brustwirbelsäule.

70 IV.

71 Die Begründetheit des auf gegenwärtige und zukünftige materielle sowie   nicht vorhersehbare künftige immaterielle Schäden gerichteten Feststellungsantrages ergibt sich aus vorstehenden Ausführungen.

72 V.

73 Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280, 286 BGB. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs.1, 291 BGB. Mit Schreiben vom  03.11.2010 hat der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum  24.11.2010 zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens

74 20.000,00 € aufgefordert.

75 V.

76 Die  weitergehende Klage, mit der der Kläger  als Schadensersatz gemäß § 286

77 BGB die Erstattung der Kosten für die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung begehrt, ist unbegründet. Stellt man  auf das Innenverhältnis zwischen dem geschädigten Mandanten und seinem Rechtsanwalt ab, ist in vorliegendem Fall  von „derselben Angelegenheit“ i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG auszugehen. Vorliegend hat sich die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers darin erschöpft,  der Anfrage auf Deckungszusage das vorprozessuale Anspruchsschreiben sowie den Klageentwurf beizufügen (s. dazu auch BGH, Senatsurteile vom 26. Mai 2009 – VI ZR 174/08, VersR 2009, 1269 Rn. 23 ff.; vom 21. Juni 2011 – VI ZR 73/10, NJW 2011, 3167 Rn. 9 ff.).

78 C.Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

79 D.Die Revision war nicht zuzulassen. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 543 Abs. 2 ZPO.