LAG Rheinland-Pfalz: Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Ersatz des Steuerschadens

LAG Rheinland-Pfalz 

Aktenzeichen:

9 Sa 155/11

2 Ca 1485/10

ArbG Kaiserslautern

Entscheidung vom 19.08.2011

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 27.01.2011, Az.: 2 Ca 1485/10 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Verzugs Schadensersatz für einen sog. Progressionsschaden.

Der am 26.03.1955 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 18.06.1985 bei der Beklagten als Gemeindearbeiter zu einer Vergütung von 2.000,– € brutto monatlich beschäftigt. Mit Schreiben vom 21.03.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2007 wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten.

Das Arbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat die Berufungskammer nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 06.02.2009, Az.: 9 Sa 685/07, festgestellt, dass die genannte Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

Der Kläger wies folgende Krankheitsbedingte Fehlzeiten auf:

88,5 Tage

77,5 Tage

129,0 Tage

70,0 Tage

134,0 Tage

50,0 Tage

164,0 Tage

171,0 Tage

58,5 Tage

121,0 Tage

186,0 Tage

261,0 Tage

214,0 Tage

128,0 Tage

188,0 Tage

durchgängig

153,0 Tage

171,0 Tage

Hierbei fehlte der Kläger krankheitsbedingt aufgrund von Arbeitsunfällen im Zeitraum 25.03. – 07.04.2003, 25.03. – 25.04.2004 und 01. – 15.09.2006. Wegen der Fehlzeiten im genannten Zeitraum im Einzelnen und der hierauf entfallenden Entgeltfortzahlungskosten wird im Übrigen auf den Schriftsatz der Beklagten vom 09.06.2011, S. 5 ff. (Bl. 131 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat in Folge der genannten Kündigung vom 21.03.2007 die Vergütungszahlungen an den Kläger beginnend ab Oktober 2007 eingestellt und erst nach Verkündung des Berufungsurteils im genannten Verfahren Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, 9 Sa 685/07 im Jahr 2009 die rückständige Vergütung für die Monate Oktober 2007 bis Januar 2009 nachgezahlt.

Nach Berechnung des Klägers, der sich insoweit auf eine Berechnung seiner Steuerbelastung durch einen Lohnsteuerhilfeverein stützt, ist es durch die verspätete Zahlung der Insgesamtvergütung erst im Jahre 2009 progressionsbedingt zu einer erhöhten Steuerbelastung gekommen, die sich auf 4.723,77 € belaufe. Den Ersatz des Schadens in dieser Höhe begehrt der Kläger von der Beklagten im vorliegenden Verfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie der streitigen Ansichten der Parteien erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 27.01.2011, Az.: 2 Ca 1485/10 (Bl. 60 ff. d. A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB bestehe nicht, weil die Beklagte die Pflichtverletzung nicht zu vertreten habe. Zwar sei nach der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die seinerzeitige Kündigung zu Unrecht erfolgt. Zu vertreten habe dies die Beklagte aber nur dann, wenn sie bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Kündigung unwirksam war. Der entsprechende Rechtsirrtum sei entschuldbar, wenn die Rechtslage objektiv zweifelhaft gewesen sei und der Schuldner sie sorgfältig geprüft habe.

Die Kündigung habe sich auch im seinerzeitigen Berufungsverfahren erst nach Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens als unwirksam erwiesen. Die Einholung eines solchen Gutachtens sei der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung nicht möglich gewesen. Die Beklagte habe sich also auf die bisherigen Fehlzeiten und die hieraus entstandenen Entgeltfortzahlungskosten berufen können. Berücksichtigung finden könne auch, dass der Personalrat keine Einwendungen gegen die seinerzeitige Kündigung erhoben hatte und das Integrationsamt der Kündigung bestandskräftig zugestimmt habe.

Das genannte Urteil dem Kläger am 11.02.2011 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 11.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 04.04.2011 bis zum 11.05.2011 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 09.05.2011, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 11.08.2011, auf die wegen der Einzelheiten jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 84 ff., Bl. 166 ff. d. A.), macht der Kläger zur Begründung seiner Berufung im Wesentlichen geltend:

Die Beklagte habe bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können, dass die Kündigung unwirksam gewesen sei. Dies folge bereits daraus, dass die außerordentliche Kündigung eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers aus Krankheitsgründen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen greifen könne. Die Beklagte habe zumindest die Reha-Maßnahme abwarten müssen, in welcher er – der Kläger – sich bei Zugang der seinerzeitigen Kündigung befunden hat. Des Weiteren sei zu beachten, dass eine betriebliche Eingliederungsmaßnahme nach § 84 SGB IX nicht durchgeführt worden sei. Von Bedeutung sei weiter, dass die Beklagte bereits im Jahre 2003 erfolglos eine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen habe und zum Teil die von der Beklagten herangezogenen Fehlzeiten auf nicht prognoserelevanten Arbeitsunfällen beruht haben. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten hätten auch auf verschiedenen Ursachen beruht. Die Beklagte habe zudem versucht, Fehlzeiten selbst zu provozieren. Der Kläger sei immer wieder mit unberechtigten Anschuldigungen konfrontiert worden und man habe ihm Arbeiten zugeteilt, bei denen man gehofft habe, dass diese aufgrund der körperlichen Anstrengungen nicht ausführbar seien oder aber zu einer Erkrankung führten. Wegen der Einzelheiten der diesbezüglichen Behauptungen des Klägers wird auf dessen Schriftsatz vom 11.08.2011, S. 3 ff. (Bl. 154 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 27.01.2011, Az.: 2 Ca 1485/10 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.723,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 09.06.2011, auf den Bezug genommen wird (Bl. 127 ff. d. A.) als zutreffend.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.  Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt -und auch inhaltlich ausreichend- begründet.

II.  In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Der Kläger kann nicht den Ersatz eines sog. Steuerschadens verlangen. Die Beklagte hat die verspätete Zahlung der Vergütung und damit den behaupteten Steuerschaden nicht zu vertreten. Auf die Fragen, ob der Kläger die tarifvertragliche Ausschlussfrist gewahrt hat (dazu BAG 20.6.2002 -8 AZR 488/01- EzA § 611 BGB Arbeitgeberhaftung Nr 11) und ob die Höhe des behaupteten Schadens ausreichend dargelegt ist, kommt es daher nicht an.

1. Ein Ersatz des sog. Steuerschadens kommt vorliegend nur unter dem Gesichtspunkt des Verzugs in Betracht, §§ 280 Abs. 2, 286 BGB. Verzug setzt nach § 286 Abs. 4 BGB voraus, dass die geschuldete Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den der Schuldner zu vertreten hat. Was der Schuldner zu vertreten hat, ergibt sich aus §§ 276 – 278 BGB. Demnach setzt ein Anspruch auf Ersatz des Steuerschadens unter dem Gesichtspunkt des Verzugs voraus, dass auf Seiten des Arbeitgebers zumindest Fahrlässigkeit vorliegt, also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde.

Der Arbeitgeber kann mit der Leistung der Arbeitsvergütung dadurch in Verzug geraten, dass er infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr leistet, obwohl er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Kündigung unwirksam ist. Anders verhält es sich, wenn der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht. Ist die Rechtslage nämlich nicht eindeutig, so handelt der kündigende Arbeitgeber solange nicht fahrlässig, als er auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen durfte. Dieses Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung kann im Laufe des Kündigungsrechtsstreits seine Berechtigung verlieren, zB nach Durchführung einer Beweisaufnahme, die zu dem Ergebnis geführt hat, dass keine Kündigungsgründe vorliegen. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Entgeltzahlungen weiterhin zurück, gerät er in Schuldnerverzug (BAG 20.6.2002 -8 AZR 488/01- EzA § 611 BGB Arbeitgeberhaftung Nr. 11; BAG 13.6.2002 -2 AZR 391/01- EzA § 15 nF KSchG Nr 55).

2. Gemessen hieran ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein Verschulden der Beklagten nicht vorlag.

a) Die Kündigung der Beklagten beruhte auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt.

Dies ergibt sich schon daraus, dass im seinerzeitigen Kündigungsschutzverfahren das Arbeitsgericht die Kündigung für rechtswirksam erachtete und auch die Berufungskammer im nachfolgenden Berufungsverfahren (LAG Rheinland-Pfalz -9 Sa 685/07) von der Notwendigkeit einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Frage, ob auch in Zukunft weitere krankheitsbedingte Ausfallzeiten im bisherigen Umfang zu erwarten waren ausging und erst nach Vorlage des Gutachtens die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer nicht erwiesenen negativen Zukunftsprognose für rechtsunwirksam erachtete.

b) Auch die vom Kläger im vorliegenden Verfahren angeführten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte führen nicht dazu, dass die Beklagte von der  Rechtsunwirksamkeit der seinerzeitigen Kündigung schon vor Bekannt werden des Ergebnisses des im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens ausgehen musste oder die Wirksamkeit der Kündigung nur unter Anlegung eines rechtlich oder tatsächlich nicht vertretbaren Standpunktes annehmen konnte.

aa) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung nur schwer prognostizierbar ist. Sofern kein sonstiger Unwirksamkeitsgrund (z.B. fehlende Betriebsratsanhörung o.ä.) vorliegt, hängt sowohl eine ordentliche Kündigung als auch eine außerordentliche Kündigung in tatsächlicher Hinsicht von medizinischen Fragen ab, namentlich davon, ob bei prognostischer Betrachtung mit weiteren erheblichen Fehlzeiten zu rechnen ist. Mangels eigener medizinischer Kenntnisse und oft auch wegen fehlender Kenntnis von den jeweiligen Krankheitsursachen, kann ein Arbeitgeber in der Regel nur auf die Fehlzeiten der Vergangenheit verweisen. Ob diese tatsächlich eine negative Zukunftsprognose tragen, hängt –entsprechendes Bestreiten des Arbeitnehmers im Prozess vorausgesetzt, sodann regelmäßig von einer Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren ab. In rechtlicher Hinsicht ist bei beiden Kündigungsarten eine Interessenabwägung zur Beantwortung der Frage notwendig, ob die durch ggf. zukünftig zu erwartende Fehlzeiten einhergehenden Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen dem jeweiligen Arbeitgeber zumutbar ist oder nicht. Hierfür gibt es keine feststehenden Maßstäbe, sondern es ist eine Abwägung im Einzelfall notwendig. Beide Gesichtspunkte machen bezogen auf den Zeitpunkt der Kündigung eine Einschätzung, ob die Kündigung Bestand haben wird oder nicht, schwierig.

bb) Die Beklagte hatte im seinerzeitigen Kündigungsschutzverfahren zunächst Tatsachen vorgetragen, die auch bei Anlegung des für eine außerordentliche Kündigung geltenden Maßstabes eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten, die die Annahme einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trugen.

Auch unter Herausrechnung der auf Arbeitsunfällen beruhenden Fehlzeiten und der damit verbundenen anteiligen Entgeltfortzahlungskosten lagen beim Kläger durchgehend seit 1990 erhebliche Fehlzeiten vor, die zu hohen Entgeltfortzahlungskosten geführt haben. Neben den Entgeltfortzahlungskosten hat die Beklagte auch auf die bestehenden Schwierigkeiten im betrieblichen Ablauf verwiesen, die angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Krankheitszeiten ab dem Jahr 2003 auch nicht nur oder nur überwiegend um lange, in ihrer Dauer absehbare Krankheitsperioden handelte, was zu Schwierigkeiten bei der Planung von Überbrückungsmaßnahmen führt, auch plausibel sind.

cc) Soweit der Kläger darauf verweist, die Beklagte habe von der Unwirksamkeit der Kündigung ausgehen müssen, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund des tariflichen Kündigungsschutzes ordentlich nicht mehr kündbar war, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (etwa Urteil vom 12.1.2006 -2 AZR 242/05- EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr 9) krankheitsbedingte Fehlzeiten gerade bei Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit nicht von vornherein als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung (mit Auslauffrist) ungeeignet sind, sondern im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, dass ggf. mit einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen nicht nur für die Dauer einer Kündigungsfrist, sondern für die Dauer bis zum altersbedingten Ausscheiden des Arbeitnehmers zu rechnen ist.

dd) Zum Teil führt der Kläger Gesichtspunkte an, die in tatsächlicher Hinsicht eher für als gegen die vertretbare Annahme einer anzunehmenden negativen Zukunftsprognose sprechen. Dies gilt etwa für den Sachvortrag, die Krankheitszeiten beruhten auf verschiedenen Ursachen. Gerade wenn dies zutrifft, konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass eine im Hinblick auf ein bestimmtes Krankheitsbild eingeleitete Reha-Maßnahme eine nachhaltige Besserung mit sich bringt und zukünftig nennenswerte Fehlzeiten nicht zu erwarten sind.

Auch soweit der Kläger auf das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht aus dem Jahr 2004 (Urteil vom 10.03.2004 -9 Sa 2137/03- ) hinweist, ergibt sich aus den Gründen des genannten Urteils, dass seinerzeit nach amtsärztlichen Feststellungen nicht von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen werden konnte. Entsprechendes ergibt sich aus dem vom Kläger in Bezug genommenen Schreiben der Beklagten an das Gesundheitsamt vom 12.05.2003 (Bl. 185 f. d.A.), in welchem auf eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 09.02.2000 verwiesen wird, demzufolge beim Kläger davon auszugehen ist, dass „krankheitsbedingte Fehlzeiten in der überschaubaren Zukunft nicht, oder zumindest in dem Umfang auftreten, wie in der Vergangenheit“. Ungeachtet dessen sind aber jeweils auch nach diesen medizinischen Einschätzungen ganz erhebliche Fehlzeiten aufgetreten, so dass aus Sicht der Beklagten die Annahme, dass beim Kläger auch ohne objektivierbaren medizinischen Befund Krankheitssymptome mit der Folge von Fehlzeiten auftreten, nicht als fern liegend bezeichnet werden kann. Entsprechendes gilt für die Entwicklung der Fehlzeiten nach Abschluss des Berufungsverfahrens, in welchem die Unwirksamkeit der Kündigung vom 21.3.2007 festgestellt wurde (LAG Rheinland-Pfalz -9 Sa 685/07-). Ausweislich der Fehlzeitenkarte des Jahres 2010 fielen im Jahr 2010 wiederum 242 Kalendertage krankheitsbedingte Fehlzeiten an. Zwar kommt es für die Beurteilung einer Kündigung bei deren gerichtlicher Überprüfung auf die Prognose im Kündigungszeitpunkt an. Dabei ist jedoch die spätere Entwicklung mit zu bewerten, soweit sie die Prognose im Kündigungszeitpunkt bestätigt (vgl. BAG 13.05.2004 -2 AZR 36/04- EzA § 626 BGB 2002 Krankheit Nr 2). Vorliegend geht es zudem nicht um die Beurteilung der Kündigung, sondern um einen Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens, so dass hierbei erst Recht die spätere Entwicklung zur Beantwortung der Frage, ob die Beklagte vertretbar von einer negativen Zukunftsprognose ausgehen konnte, berücksichtigt werden kann.

ee) Soweit der Kläger sich darauf beruft, die Beklagte habe das nach § 84 Abs. 2 SGB IX erforderliche Eingliederungsmanagement (BEM) nicht durchgeführt, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung.

Das Unterlassen des BEM führt nicht per se zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern (nur) dazu, dass der Arbeitgeber, wenn er kein BEM durchgeführt hat, sich durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen darf. In diesem Fall darf er sich im Kündigungsschutzprozess nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine “freien Arbeitsplätze”, die der erkrankte Arbeitnehmer auf Grund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne (etwa BAG 23.04.2008 -2 AZR 1012/06- EzA § 1 KSchG Krankheit Nr 55).

III. Die Berufung war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.