BayVGH München: Kein Bau einer Scheune zum Zwecke des Betriebs einer Solaranlage
Orientierungssätze:
1. Ergeht eine Duldungsanordnung gegenüber einem lediglich obligatorisch Berechtigten, dann kann sich dieser nicht auf die angebliche Rechtswidrigkeit der an den Eigentümern gerichteten Beseitigungsanordnung berufen. Der Prüfungsumfang ist beschränkt, weil der obligatorisch Berechtigte seine Besitz- und Nutzungsrechte an dem Gebäude nur ableitet.
2. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Bauaufsichtsbehörde den seit Jahren in der Landwirtschaft voranschreitenden Strukturwandel und die politisch vollzogene Kehrtwende im Energiebereich nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt hat. Solche Gesichtspunkte sind nur im Rahmen der geltenden Gesetze relevant.
1 CS 12.282
M 1 S 11.6169
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
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– Antragsteller –
bevollmächtigt:
Rechtsanwalt ********** **********
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gegen
Freistaat Bayern,
vertreten durch die Landesanwaltschaft Bayern,
Ludwigstr. 23, 80539 München,
– Antragsgegner –
wegen: Anordnung, die Beseitigung einer Lagerhalle mit Photovoltaikanlage zu dulden
(Fl.Nr. 699 Gemarkung Schonstett);
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO;
hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 16. Januar 2012,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom,
den Richter am Verwaltungsgerichtshof Lorenz,
den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dihm
ohne mündliche Verhandlung am 12. März 2012
folgenden
Beschluss:
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom
16. Januar 2012 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils
10.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine für sofort vollziehbar
erklärte, mit einer Zwangsgeldandrohung verbundene Duldungsanordnung.
Der Antragsteller, der bei einer Bank als Spezialist für Solarstromkredite tätig ist, schloss am 15. Januar 2008 einen sogenannten Gestattungsvertrag mit einem Gast-,
Land- und Forstwirt (im Folgenden: Landwirt). Darin verpflichtete sich dieser, auf sei-
nem landwirtschaftlich genutzten Außenbereichsgrundstück Fl.Nr. 699 eine landwirtschaftliche Lagerhalle zu errichten, und versicherte, dass er im Rahmen der Privilegierung dazu berechtigt sei. Dem Antragsteller wurde das Recht eingeräumt, auf dem Dach sowie auf den Seitenflächen eine Photovoltaikanlage zu installieren und zu betreiben. Als Gegenleistung übernahm er die Erstellungskosten der Lagerhalle.Diese wurde im Jahr 2008 auf einer drehbaren Bodenplatte ohne Genehmigung errichtet.
Mit Bescheid vom 26. November 2009 verpflichtete das Landratsamt Rosenheim den
Landwirt, die auf seinem Grundstück errichtete Lagerhalle mit Photovoltaikanlage zu beseitigen. Eine hiergegen gerichtete Klage nahm er in der mündlichen Verhandlung
vor dem Verwaltungsgericht am 13. Juli 2010 zurück, nachdem die Frist zur Beseitigungbis 1. August 2011 verlängert worden war. Mit Schreiben vom 1. September 2011 teilte das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Rosenheim dem Landratsamt mit, auch derzeit bestehe kein wesentlicher Bedarf des Landwirts an zusätzlichen Maschinenunterstellmöglichkeiten in Form des streitgegenständlichen Feldstadels, weil an der Hofstelle ausreichende Räumlichkeiten zur Verfügung stünden. Dies gelte auch für den nach seinen Angaben inzwischen angeschafften Mähdrescher.
Daraufhin verpflichtete das Landratsamt den Antragsteller mit Bescheid vom 22. November 2011, die Beseitigung der Lagerhalle mit Photovoltaikanlage zu dulden. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht.
Der Antragsteller erhob beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den genannten Bescheid und beantragte vorläufigen Rechtsschutz. Diesen Antrag lehnte
das Verwaltungsgericht ab.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers mit dem Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 16. Januar 2012 aufzuheben, die sofortige Vollziehung der Duldungsanordnung des Landratsamts Rosenheim vom 22. November 2011 auszusetzen und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Zudem hat das Landratsamt das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung
der Duldungsanordnung ausreichend begründet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO). Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt demnach das gegenläufige Interesse des Antragstellers.
1. Die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Duldungsanordnung setzt zunächst voraus, dass die Beseitigungsanordnung, deren Vollzug sie ermöglichen soll, wirksam ist und wegen fehlenden Einverständnisses des Antragstellers nicht durchgesetzt werden kann (vgl. BayVGH vom 16.4.2007 Az. 14 CS 07.275 <juris>). Das Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen wird auch vom Antragsteller nicht in Frage gestellt.
Der Antragsteller macht in erster Linie geltend, dass der bauplanungsrechtliche rivilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zu Unrecht verneint worden sei. Mit dieser die Rechtmäßigkeit der gegen den Eigentümer gerichteten Beseitigungsanordnung betreffenden Rüge kann er jedoch nicht gehört werden. Dies folgt allerdings weder aus der Bestandskraft noch aus der Tatbestandswirkung der Beseitigungsanordnung, die sich wie die Rechtskraft eines nachfolgenden Urteils darauf beschränken, dass der Adressat der Verfügung die Anlage zu beseitigen hat. Klagt er gegen die Beseitigungsanordnung, ist Streitgegenstand nur, ob sie den Anfechtungskläger in seinen Rechten verletzt, weil sie rechtswidrig ist. Streitgegenstand ist dagegen nicht die Frage, ob die Verfügung einen Miteigentümer oder obligatorisch Berechtigten, gegen den sie nicht ergangen ist, in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG vom 28.4.1972 BVerwGE 40, 101/104). Daran ändert auch die (einfache) Beiladung des Dritten nichts (vgl. BVerwG a.a.O.; a.A. BayVGH vom 16.4.2007 a.a.O.).
Bei der vorliegenden Fallkonstellation einer Duldungsanordnung gegenüber einem lediglich obligatorisch Berechtigten ergibt sich die Beschränkung des Prüfungsmaßstabs jedoch aus der Funktion der gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Duldungsanordnung. Sie stellt eine Maßnahme dar, die der Überwindung des Widerstands dient, den der Antragsteller der Durchsetzung der Beseitigungsanordnung entgegenbringt, die gegenüber dem Eigentümer erlassen worden ist, von dem er seine gestattungsvertraglichen Besitz- und Nutzungsrechte an dem Gebäude lediglich ableitet. Aus dieser Rechtsposition heraus ist es dem Antragsteller verwehrt, sich gegenüber der Duldungsverfügung auf die (angebliche) Rechtswidrigkeit der an den Eigentümer gerichteten Beseitigungsanordnung zu berufen (vgl. OVG Berlin vom 28.2.1997 BRS 59 Nr. 208; a.A. offenbar BayVGH vom 16.4.2007 a.a.O., der nicht zwischen einem obligatorisch und einem dinglich Berechtigten differenziert; zum Meinungsstand Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Juli 2008, Art. 76 RdNr. 285, und Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung 2008, Stand: Oktober 2009, Art. 76 RdNrn. 415 ff.). In ähnlichem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der gegen einen Mieter erlassenen Duldungsanordnung u.a. mit dem Argument bejaht, dieser habe hinsichtlich einer auf Betreiben eines Nachbarn erlassenen Beseitigungsanordnung keine bessere Rechtsposition gegenüber dem Nachbarn und damit auch gegenüber der Bauaufsichtsbehörde als der Vermieter (vgl. BVerwG vom 13.7.1994 NVwZ 1995, 272). Wegen der hierdurch bewirkten Einschränkungen seines gestattungsvertraglichen Besitz- und Nutzungsrechts ist der Antragsteller demnach darauf verwiesen, den Eigentümer als Vertragspartner zivilrechtlich in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerwG vom 13.7.1994 a.a.O.; OVG Berlin a.a.O.). Dies gilt hier umso mehr, als letzterer in dem Gestattungsvertrag ausdrücklich versichert, dass er im Rahmen der Privilegierung zur Errichtung der „landwirtschaftlichen Lagerhalle“ berechtigt sei.
2. Das Landratsamt hat das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass es den seit Jahren in der Landwirtschaft voranschreitenden Strukturwandel und die „politisch vollzogene Kehrtwende im Energiebereich“ nicht in seine Ermessenserwägungen zugunsten des Antragstellers eingestellt hat. Vielmehr sind solche Gesichtspunkte nur im Rahmen der geltenden Gesetze relevant. Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, sind nach dem am 30. Juli 2011 in Kraft getretenen „Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ Solaranlagen im Außenbereich nur privilegiert, wenn sie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden angebracht und dem jeweiligen Gebäude baulich untergeordnet sind (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 8 BauGB). Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, wovon hier auszugehen ist (vgl. 1.), sind Solaranlagen im Außenbereich in aller Regel rechtswidrig, so dass es dann der Intention des Gesetzgebers widersprechen würde, sie wegen der genannten Gesichtspunkte zu dulden. Im übrigen bestimmt Art. 55 Abs. 2 BayBO ausdrücklich, dass die Vorschriften über die Genehmigungsfreiheit, wie z.B. Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa BayBO für Solarenergieanlagen und Sonnenkollektoren in und an Dach- und Außenwandflächen, nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlichrechtliche Vorschriften gestellt werden, entbinden und die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt lassen.
Zu beanstanden ist auch nicht, dass das Landratsamt den vom Antragsteller aufgebrachten hohen Investitionskosten, die er mit insgesamt ca. 220.000 Euro beziffert, keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen hat. Es hat diesbezüglich zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller zumutbar gewesen ist, sich im Vorfeld bei der zuständigen Behörde über die Genehmigungsfreiheit bzw. Rechtmäßigkeit der geplanten baulichen Anlage zu erkundigen. Zudem hätte er zu seiner Absicherung einen Vorbescheid beantragen können. Da er dies nicht getan hat, ist er das Risiko eingegangen, dass die gleichwohl errichtete Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht und deshalb beseitigt werden muss.
3. Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde zu Recht mit der Vorbildfunktion der baulichen Anlage und der daraus resultierenden Nachahmungsgefahr begründet. Die
gesetzlich garantierten Einspeisevergütungen bieten nach wie vor einen großen Anreiz für die Errichtung von Solaranlagen. Dementsprechend wurden in Deutschland und speziell in Bayern noch nie so viele Solaranlagen errichtet wie im vergangenen Jahr. Da die Einspeisevergütung je Kilowattstunde bei Solaranlagen auf Dächern erheblich höher ist als bei auf dem Boden errichteten Freiflächenanlagen besteht gerade für Landwirte ein Anreiz, im Außenbereich sog. Solarscheunen oder Solarstadel zu errichten, wobei die bauplanungsrechtliche Privilegierung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht selten zweifelhaft ist. Der Antragsteller spricht selbst davon, dass die streitgegenständliche Anlage mit einer drehbaren Bodenplatte („heliotropes Gebäude“) als Pilotanlage Vorbildcharakter habe (vgl. S. 13 der Beschwerdebegründung). Dabei zeigt gerade das vom Verwaltungsgericht zitierte Werbeblatt („Solarstrom ist profitabel wie nie zuvor!“), dass es bei dieser Neuerung in erster Linie um „nachgeführte“ Solarscheunen und nicht um Wohn- oder Gewerbebauten mit einem entsprechenden Drehmechamismus geht.
Demgegenüber kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg auf eine angebliche Existenzgefährdung berufen. Die entsprechende Behauptung, die er erstmals in der Beschwerdebegründung vorgetragen hat, ist unsubstanziiert und kann nicht nachvollzogen werden. Der Antragsteller, der als Mitarbeiter einer Bank offenbar über ein gesichertes regelmäßiges Einkommen verfügt, macht selbst nicht geltend, dass es sich hier um die einzige Investition handelt, die er getätigt hat. Abgesehen davon konnte er die Solaranlage bereits ca. vier Jahre betreiben und ca. 130.000 Kilowattstunden Strom in das Netz einspeisen, so dass seine Investition zu einem nicht unerheblichen Teil amortisiert ist. Insoweit hat er bereits mehrere Jahre von dem bestehenden baurechtswidrigen Zustand profitiert. Zudem dürfte er einen Schadensersatzanspruch gegen den Landwirt haben (vgl. 1.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller (vgl. das vorgelegte Angebot zur Demontage und zum Wiederaufbau der Halle mit einer Gesamtsumme von 151.297 Euro) erscheint der vom Verwaltungsgericht festgesetzte Streitwert deutlich zu niedrig, so
dass er vom Senat angemessen erhöht wurde.
Dhom Lorenz Dihm